In unserer Evolution hat das Phänomen Schmerz als Warnung vor einer Verletzung und einem körperlichen Schaden eine existentielle Bedeutung für das Überleben des Körpers. Schmerz und Angst sind natürliche Abwehrrektionen auf potenzielle Bedrohungen.
Durch eine akute Verletzung entstehen meistens Schmerzen, die sich mit dem Abheilen der Läsion zurück entwickeln. Wenn sich an der Verletzungsstelle eine chronische Entzündung etabliert oder die Läsion nicht wie üblich verheilt, kann sich eine chronische Schmerzkrankheit entwickeln. Die Schmerzen haben ihre wichtige Warnfunktion verloren und führen durch Vermeidung von möglicherweise schmerzverstärkenden Bewegungen und durch Aufbau von Ängsten zu starken Einschränkungen. Das führt nicht nur zu einer direkten Beeinträchtigung des Wohlbefindens, sondern Vermeidung führt über einen längeren Zeitraum durch Reizentzug auch zu einem Abbau körperlicher und geistiger Fähigkeiten, so dass sich die Einschränkungen durch den Schmerz und die Einschränkungen durch den Verlust an körperlichen und geistigen Fähigkeiten addieren. Zudem werden beim Training von Muskeln Glückshormone und Botenstoffe ausgeschüttet, die das Heilen und Regenieren von Körper- und Gehirnschäden verbessern. Nicht trainierte Muskeln werden schwächer, bauen sich ab, das Körpergewicht nimmt zu und das Missverhältnis zwischen Belastung und tatsächlicher Belastbarkeit verschlechtert sich. Immer geringere Belastungen führen zu Überlastungen und mehr Schmerzen – ein Teufelskreis beginnt, meist mit abwertenden Selbsturteilen.
Eine moderne Schmerztherapie möchte durch vielfältige Ansätze versuchen chronische Schmerzen zu behandeln. Dabei ist das oberste Ziel, die Entstehung von chronischen Schmerzen schon durch eine optimale Therapie der akuten Verletzung bzw. Erkrankung zu verhindern und wenn bei Chronifizierung ein körperlicher Ausgangspunkt der Schmerzen detektiert werden kann, diesen gezielt zu behandeln.
In einer ersten Phase sollen Verspannungen, Entzündungen und Schmerzen reduziert werden, in der zweiten Phase geht es darum, die verlorenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten wiederaufzubauen. Das heißt muskuläres Aufbautraining, Konditionstraining und weiterhin mentales Coaching bzw. Psychotherapie.
Phase 1
Physischer Ansatz:
Alles was sich angenehm anfühlt, wie zum Beispiel Wärme, Massage, Dehnung, Yoga, Atemtherapie, Akupunktur usw. führt zu einer Reduktion von Schmerzen und dem muskulären wie mentalem Spannungszustand. Die Durchblutung soll durch moderate Bewegung und wechselnde Reize wie Heiß-Kalt-Duschen, Bürstenmassage usw. angeregt werden und damit die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung sowie der Abtransport von Abbauprodukten verbessert werden.
Dieser Zustand ist zwar nicht nachhaltig, trägt aber mit dazu bei, dass sich Entzündungsprozesse beruhigen und der chronische mentale Dauerstress durch Schmerzen reduziert werden kann.
Wenn möglich wird eine lokale Therapie des Schmerzfokus durchgeführt, dabei hat sich die Neuraltherapie, Infusionstherapie und die Behandlung mit Stoßwellen etabliert.
Biochemischer Ansatz (Ernährung/Medikamente):
Medikamente können am Entstehungsort der Schmerzen (peripher) oder in der Weiterverarbeitung (zentral) Schmerzen reduzieren. Dafür werden nicht nur klassische Schmerzmittel verwendet, sondern auch Wirkstoffe, die die Nervenverarbeitung beruhigen, chronische Entzündungen reduzieren oder Muskeln lockern. Sinnvoll ist es zudem die tägliche Schädigung durch unsere meist falsche, entzündungsfördernde Ernährung zu reduzieren und unsere Fettmasse, die ebenso durch permanente Aussendung von Entzündungsbotenstoffen das Krankheitsgeschehen und unser Immunsystem beeinflussen.
Psychischer Ansatz:
Wenn wir Schmerzen nicht als existenzielle Bedrohung interpretieren, sind die mentalen, aber auch körperlichen Auswirkungen deutlich geringer. Häufig führen bewusste oder unbewusste Ängste und Traumata dazu, dass manche Menschen auf Schmerzreize stärker reagieren, als andere. Dabei kann ein verhaltenstherapeutisches Vorgehen helfen die Bedeutung des Schmerzes oder Traumas und vorliegende Verarbeitungsmuster zu entdecken und zu behandeln. Meist handelt es sich um Geschehnisse, die nicht am richtigen Ort des Gehirns „geparkt“ werden können, sondern aufgrund der hohen Emotionen, die damit verbunden sind in unserem „Gehirnprozessor“ stocken geblieben sind. Traumata können nicht wie üblich im Erinnerungsbereich abgelegt werden und können dadurch rasch „getriggert“ werden, häufig mit unbewusstem emotionalem Durchleben des „nicht-verarbeitendem“ Geschehen, mit all seinen mentalen und körperlichen Auswirkungen wie Pulserhöhung, Angst, Anspannung, Misstrauen, Schmerzen, Verweigerung, Blutdruckanstieg, Rückzug usw. Das unwillkürliche Nervensystem verliert die Balance und der Sympathikus, der für Kampf und Flucht zuständig ist, gewinnt die Oberhand über den Parasympathikus der für Erholung, Regeneration, Heilung usw. zuständig ist. Dementsprechend werden Hormone ausgeschüttet, die chronische Entzündungen und Schmerzen unterstützen.
Zur Behandlung gibt es verschiedene Methoden wie klassische Verhaltenstherapie oder Hypnosetherapie. Ein häufig angewandter Ansatz ist die EMDR-Methode („Eye Movement Desensitization and Reprocessing“), um bestimmte Geschehnisse verarbeiten zu können. Dabei werden in einem Gespräch mögliche Ursachen der Ängste detektiert und analysiert und dann diese in einer emotional sicheren Umgebung mit Unterstützung durch einen Therapeuten an dem „richtigen Ort“ im Gehirn abgelegt. Dabei werden Bewegungen mit dem Körper und/oder den Augen durchgeführt, damit – vereinfacht ausgedrückt- eine emotionale Überladung nicht die regelrechte Verarbeitung und Ablage ins Erinnerungsgedächtnis stört. Es gibt auch andere Techniken, die ein Durchleben und Ablegen der Traumata unterstützen können, Ziel ist es immer am Ende zufriedener und harmonischer in sich zu ruhen und weniger durch bewusste oder unbewusste Prozesse mit Schmerzempfindungen, Angst, Anspannung, Abwehr, Verdrängung und Rückzug zu reagieren.
Phase 2
Häufig sind die beiden Phasen nicht sauber abzugrenzen und gehen ineinander über. Nun gilt es verlorene Kompetenzen zurückzugewinnen. Es wird begonnen mit dem Patienten zu trainieren, anfangs noch angeleitet und im Verlauf immer eigenständiger, mit dem Ziel die muskuläre Belastbarkeit zu steigern, die Haltung zu verbessern und Verkürzungen selbstständig zu dehnen. Zudem werden Entspannungstechniken vermittelt.
Bei vielen chronisch Erkrankten ist ein Vorgehen, wie beschrieben im ambulanten Rahmen nur schwerlich möglich und es bietet sich an einen Teil der Behandlung stationär durchzuführen. Die Organisation von verschiedenen Behandlungen fällt weg, die Termine werden miteinander abgestimmt, es hat normalerweise ein ganzheitliches Angebot vor Ort und häufig inspiriert eine schöne, neue Umgebung. Ein Klinikaufenthalt hat den zusätzlichen Vorteil, dass die Betroffenen aus ihrem gewohnten Umfeld rausgerissen werden, das häufig auch irgendwann einen stabilisierenden Effekt auf krankmachende Muster darstellt, es gibt mehr Zeit und Raum an sich zu arbeiten, weil häusliche Verpflichtungen wegfallen und zudem entfallen viele Zuzahlungen, die in einem ambulanten Setting vom Patienten zu übernehmen sind.